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Mit Robert Walser bis zum Ende der Welt

Ein virtueller Spaziergang durch die Stadt Biel

Die «Uhrenhauptstadt» am Jurasüdfuss hat sich seit der vorletzten Jahrhundertwende städtebaulich verändert und ist doch im Kern die Alte geblieben. Auf den Spuren des Schriftstellers Robert Walser kann man die Stadtentwicklung mit eigenen Augen, Ohren und Füssen erkunden.

ii. Anlässlich der Expo-Vorbereitungen gedachte die Stadt Biel ihres berühmten Sohnes, des Dichters und Schriftstellers Robert Walser, der hier seine Kindheit und einen Teil seiner kreativsten Lebensjahre verbracht hat. Das Stadtparlament bewilligte im August 2001 einen Kredit von 3,3 Millionen Franken für die Gestaltung des Robert-Walser-Platzes am neu zu schaffenden Südportal des Bieler Bahnhofs. Bereits zwei Monate später wurde mit den Bauarbeiten begonnen, und am 3. Mai 2002 wurde er von einem anderen Sohn der Stadt, Bundesrat Moritz Leuenberger, eingeweiht.

Rechtzeitig zu diesem städtebaulichen Akt gab der Kleinverlag Nimbus die Box «Robert Walser in Biel» heraus. In sorgfältiger Aufmachung vereint die Publikation eine Biographie zu Walsers Zeit in Biel, ein Buch und zwei Audio-CD mit seinen eigenen Texten über die Stadt und das Seeland, eine historische Karte aus dem Jahr 1902 sowie, als besonderen Leckerbissen, eine interaktive CD-ROM. Die Publikation ist ein Gemeinschaftswerk des langjährigen Walserforschers und Sekretärs der Robert-Walser-Gesellschaft Bernhard Echte und der Agentur Cermusoni Wyder in Biel, die den audiovisuellen Teil gestaltete.

Erfreulich ist, dass für die CD-ROM kein Programm installiert werden muss. Nach dem Einlegen der Scheibe startet der virtuelle Spaziergang mit einer alten Gesamtansicht der Stadt und einem fiktiven Brief Walsers an seine Freundin Frieda Mermet, in dem er seine Geburtsstadt in fast zärtlichen Worten anpreist. Von da an kann man Biel nach Belieben kreuz und quer auf den Spuren des Dichters erkunden, sich die Lage im historischen Stadtplan anzeigen lassen oder eine Ansicht aus der gleichen Perspektive aus heutiger Zeit aufrufen. 36 Häuser, Strassen und Plätze, die alle in Walsers Werk beschrieben sind, aber auch in seinem Leben eine Rolle spielten, werden besucht und vorgestellt. Zur besseren Übersicht kann man die gedruckte Version der historischen Karte zu Hilfe nehmen. Diese war bei ihrem Erscheinen eine Novität, denn im 18. Jahrhundert gab es noch keine offiziellen Stassennamen. Die Häuser wurden quartierweise nummeriert. Es war deshalb ein kniffliges Unterfangen, Walsers Geburtshaus (Dufourstrasse 3) ausfindig zu machen. Das Gebäude, in dem der ehemalige Bankangestellte das Licht der Welt erblickte, wurde abgerissen, heute residiert dort eine Bank. Der Ausflug führt über die Stadtgrenze hinaus in die ländliche Umgebung, nach Ligerz, deren  Kirche der Dichter ein gotisches Architekturjuwel nennt, zur St.-Peters-Insel und ans «Ende der Welt». Dieses beliebte Ausflugsrestaurant in Magglingen gibt es noch heute. Sein Name inspirierte Walser zu einem hübschen Märchen vom Kind, das auf der Suche nach dem Ende der Welt in diesem Bauernhof eine neue Heimat findet.

Nach dem virtuellen Rundgang lässt sich die Stadtwanderung sehr gut in der realen Welt unter die Füsse nehmen. Der historische Plan wurde um die Sehenswürdigkeiten ergänzt, die Strassen in der Linienführung und Namensgebung blieben in den vergangenen hundert Jahren fast gleich. Am Besten nimmt man den Erzählband «Unsere Stadt» aus der Bieler Walser-Box mit und liest die Texte an Ort und Stelle. Die Robert-Walser-Strasse am Waldrand beim Wilerberg und den zu Ehren des Dichters neu eröffneten Platz gab es damals natürlich noch nicht. Beide entstanden im Niemandsland.

Der Robert-Walser-Platz bildet den Auftakt zu einer grösseren Veränderung des Stadtbilds und soll später zum Zentrum eines Masterplangebiets werden. Zwischen SBB-Bahnhof und dem See, wo zurzeit noch die Industrieanlagen von der vergangenen Prosperität zeugen, soll in den kommenden Jahren ein Wohnquartier entstehen und sollen Dienstleistungsbetriebe angesiedelt werden. Noch dient er aber als «Biels Visitenkarte», als Empfangsort für die Expo-Besucher, als Wartebereich mit Bänken, Wasserspender und frisch gepflanzten Eschen.

«Robert Walser in Biel», die Bieler Walser-Box erscheint in einmaliger Auflage bei «Nimbus. Kunst und Bücher», Villa zum Abendstern, 8820 Wädenswil, und kann dort oder über den Buchhandel zu Fr. 88.- bezogen werden.

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